genauer
ihn allerdings mehr. Der LSD-Versuch war für Hrdlicka ein Schritt in seinem Bemühen, die Wahnbilder der Psychose zu entschlüsseln; seine Erwartungen wurden indes nicht erfüllt. Psychotische Phänomene zeigten sich nur in rudimentären Ansätzen. Seine Gedanken kreisten um die Klinik, um Schwestern, Assistenten und den »großen Chef« - aber in einer Weise, die sich mit seinem sonstigen Wesen und seinen bildnerischen Darstellungen nicht deckte. Dramatisches, Unheimliches verdünnte sich zum Oberflächlichen, Erheiterten, Alltäglichen. Die Kraft der Erzählung verflüchtigte sich in karikierendem Fabulieren. Auszug aus dem Protokoll 12.45 Beginn des Versuchs. 13.48 »Die Stimmung empfinde ich als oberflächlich heiter - keinerlei Ernst oder Dramatik.« 13.55 H. beginnt mit dem fünften Blatt. »Alle Formen werden so harmlos. Jeder Strich ist reich und fließt völlig weg. - Nein, das ist infantiles Gekritzel. Sehr unangenehm, daß man erst etwas konzipiert und daß es dann, während der Arbeit, seine ganze Bedeutung verliert. Was einen zuerst fasziniert, ist einem im nächsten Augenblick ganz gleichgültig.« 14.30 »Jetzt werde ich doch ganz aktiv. Man bekommt Lust, Karikaturen zu machen.« Er arbeitet an seinem achten Blatt. 14.50 H. beginnt, auf einer Leinwand von zwei mal zwei Metern zu zeichnen. »Man macht hundert Köpfe, und nichts gehört zusammen.« - Er zeichnet jetzt sehr intensiv. »Seltsam, wie man ‘außerhalb’ ist — wie nach einer langen Fahrt.« 15.00 H. spricht über das, was er zuletzt gezeichnet hat: »Das ist alles nicht echt, wie nach einem Schema gemacht, wie auf Modezeichnungen. Als ob es Figuren aus einer Operette wären, mit Zucker- und Schokoguß. Alles ist mit einem Flair von Jugendstil überzogen, aber kitschig; auch das Gesicht ist in dieser Art stilisiert.« Er betrachtet das große Blatt aus einigem Abstand: »Auch hier diese Stoff artige, kunstgewerbliche Patina.« 16.00 »Ich möchte jetzt kleinere Formate machen - vielleicht kann man diese giftige Operettenstimmung parodistisch ausnützen.« Er beginnt ein neues Blatt: »Das ist das Porträt eines berühmten Psychiaters!« Zwanzig Minuten später: »Wieder Psychiater - der eine ist Maniker und verfolgt die Schizophrenen, der andere ist schizophren und verfolgt die Maniker.« Weitere zehn Minuten später: »Das hier ist eine Psychiater-Party.« H. zeichnet ein sehr frivoles, provokatives Blatt, das er am Ende dieser Serie verwirft und zerstört. Was hier deutlich wird, ist ein spezifischer, durch die Droge ausgelöster Vorgang von Selbstentfremdung. Realität und Härte, Präzision und Entschiedenheit, Spannung und Intensität scheinen fern zu sein. Das ‘Schokoladenhafte’ des Erlebens gibt den Blättern Weichheit, etwas beliebig Austauschbares, Verzuckert-Ornamentales; die Darstellungen wirken milde-versöhnlich, wie durch eine rosarote Brille gesehen. Der Identitätsverlust wird von Wachbewußtsein registriert und kritisiert.12 Folgerichtig wandte sich Hrdlicka von den Anstalts-Skizzen ab. Er begann wieder auf der wandgroßen Fläche zu zeichnen. Was jetzt folgte, war eine Art Test auf die Verfügbarkeit der handwerkliehen Mittel. Hrdlicka arbeitete mit Kohle, bevorzugte ausladende Linienführung. Die Probe aufs Exempel gelang recht gut. Rasch intensivierte sich das Rauschgeschehen. Die bekannten optischen Phänomene stellten sich ein: Farbveränderungen, Scheinbewegungen etc.13 - vor allem aber drängte sich ihm die automative Darstellungsweise auf. Er schrieb in die Zeichnung hinein, griff ein Geflecht auf und verwandelte es in Figuren, fuhr mit der Hand über die Zeichnung und deckte sie auf diese Weise mit großen dunklen Flächen zu. Plötzlich griff er zu zwei Kohlekreiden und entwarf mit beiden Händen zugleich auf der Leinwand einen Rückenakt als achsensymmetrische Figur. Für Hrdlicka war diese Gestaltungsweise neu; in der Kunstgeschichte und in der Psychopathologie ist sie ein bekanntes archetypisches Phänomen: es gehört zum Zeichenvorrat des Magischen Denkens.14 Neu und nur im Zusammenhang mit Hrdlickas psychophysischem Agieren verständlich war auch das Einbeziehen des eigenen Körperschemas in die Gestaltung: das psychotoxische Anschauungsbild, daß hier ohne Umweg über den ‘inneren Bildschirm’ direkt auf dem Papier entstand, wurde zugleich körperhaft: - physisch - dargestellt. Dabei wurde der zeitweilige Arbeitsvorgang, das Zeichnen der rechten und der linken Hälfte, instinktiv zu einem einzigen gerafft. Hrdlicka hat den Versuch einige Zeit später wiederholt. 3 Herbert Schneider Geb. 1924 in Griesbach im Rottal. 1949- 53 Studium bei Prof. Willi Baumeister an der Stuttgarter Kunstakademie. Lebt in München. Aus dem LSD-Protokoll 12.55 Einnahme des LSD. 13.15 (Beginnt Blatt 1) »Jetzt wird’s angenehm. Allgemeine Lockerheit. Im Zeichnen unkontrolliert; man meint, man muß fertig werden, es kommt irgend etwas auf einen zu.« 13.45 »Vom Malen her sehr angenehm. In der Form gibt es nicht viel her, farbig variiert man mehr«. (Kommentiert sein Produkt:) »Schaut aus wie eine Kinder- Zeichnung. - Sehe neue Farbtöne. Man wird lockerer beim Malen. Ein bißchen freier, man malt z. B. ein Auge tiefer, weil es einem gefällt. Das würde man sich sonst überlegen.« Eigenbeurteilung des Versuchs »Schnell, sonst sind die Bilder weg . . ., das nächste Blatt. . ., es ist egal. Kann ich weitermalen? Ich will malen, ich will nicht fort. Das Malen macht mir Freude. Bin ich glücklich? Mir ist schon wieder zum Kotzen! Wäre ich nicht auf die Reise gegangen mit dem Vorsatz zu malen, wo wäre ich jetzt? Würde ich träumen? Ich mache ein neues Aquarell. Das Papier ist zu klein. Wohin mit den Augen? Wo ist noch Platz dafür? Einen Penis? Warum nicht mit Blumen schmücken! Ich möchte viele, viele Farben! Die Angst ist längst vorüber. Das Unvorhergesehene kommt nicht. An dem formalen Thema halte ich fest: das Paar in vielen Variationen. Es soll fröhlicher und farbiger werden. Wo bleiben die versprochenen Plalluzinationen? Wo ist der Wunsch zu fliegen? Ich bleibe bei meinem Paar . . . Bin ich enttäuscht? Nein . . ., datasprint ich wollte ja malen, und das kann ich. Ich nehme blau . . ., es leuchtet, jetzt grün . . ., gelb wird zu Gold. Ich werde jetzt ruhiger. Ich denke, ich bin zurück. In Wellen kommt es wieder, doch dann klingt es ab.« Z usammenfassung Das Protokoll und die Eigenbeurteilung Schneiders geben ausschließlich Bericht von den Anfängen des ersten Rauschstadiums: Die sehr lockere und freie Farbigkeit seiner LSD-Bildprotokolle betonen in assoziativ geweiteter Form das Charakteristische seiner üblichen Darstellungsweise. 4 Peter Collien Geb. io. 3. 1938 in Berlin, 1944 Zerstö- rung der elterlichen Wohnung durch Bom- ben; die Mutter von Peter Collien kann unter dem Druck des Naziregimes ihren Beruf als Ballettmeisterin an der Volks- oper Berlin nicht mehr ausüben, daher Umzug nach Memmingen!Allgäu, dort Schulbesuch und 1938 Abitur am huma- nistischen Gymnasium. Von 1938 bis 1964 Studium der Kunstpädagogik an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin; Meisterschüler von Mac Zimmermann. Lebt ab 1966 in Steinebach am Wörther- see, seit 1969 in München. Peter Colliens Bildwerk entspricht einer harmonisch-schönen Bühne mit historisierenden Kulissen. Zu der Unversehrtheit des rhythmisch-klar komponierten Rahmens kontra- stieren die hineingestellten Monstren. Ob Tierwesen oder menschenähnliche Figuren: in ihren innerlich durchlebten und penibel durchgearbeiteten Physiognomien sind sie das Konglomerat neurotischer Spannungen als Zeichen einer Zivilisationskrankheit. Aus dem LSD-Protokoll 13.30 Einnahme des LSD. 14.00 Vegetative Erscheinungen. 14.25 Peter Collien klagt, nervös auf dem Papier »Finde meinen Strich nicht.« zeichnend, über fehlende Kontrolle: 14-4° Beginnt Blatt 2. »Jetzt glaube ich, meinen Strich wieder in der Kontrolle zu haben. Mehr Dunkelheiten vielleicht. Natürlich haue ich jetzt rein. Wußte gar nicht, daß ich so dicke Striche machen kann.« Lächelnd: »An mir ist ein guter Expressionist verlorengegangen.« Beginnt Blatt 3, in heiterer Stimmung. »Noch größeres Papier bitte. - Wenn ich schlucke, habe ich das Gefühl, als würde der Kopf dröhnen. - Ich will größere Bögen. — Kommen mir gar nicht größer vor. - Jetzt klappe ich das Bild auf, dann zeichne ich unten weiter.« 15.00 Malt Bild 3 und 4. Er klagt: »Man bekommt eine falsche Sentimentalität. Da muß ein Kopf rein.« Skizziert einen Kopf und streicht ihn wieder durch. 16.30 »Gewisse Störungen beim Ausprägen der Form bestehen auch jetzt noch. - Tatsächlich Schwierigkeiten in komplizierter Formgestaltung. Könnte einfache Formversuche mit Quadraten, Dreiecken usw. machen, mehr spielen. Aber ich komme einfach nicht rein in den Schulter-Brust-Mechanismus meiner Liegenden. Das sind Dinge, die normalerweise besser gehen, die mir sonst ganz geläufig sind.« Peter Collien: Uber den Versuch Eines der wesentlichsten Erlebnisse der LSD-Sitzung war für mich, daß unbelebte Gegenstände plötzlich anfingen, sich in langsamen Atemrhythmen auszudehnen und wieder zusammenzuziehen. Ein Schrank z.B. wurde zu einer Art atmendem belebtem Wesen, wie ein liegendes wiederkäuendes Rind. Eine völlig neue und faszinierende Erfahrung. Schon zur Zeit des Versuchs beschäftigte sich Collien mit Formproblemen, die sich später in einer veränderten Bildgestaltung niederschlugen. Dieser Wandel in seiner Darstellungsweise kann gekennzeichnet werden durch folgende Tendenzen: Vereinfachung der Form und der Raumauffassung (Beschränkung auf nur eine Figur), Reduzierung der Farben auf Schwarz-Grau-Weiß-Töne, Betonung des Plastischen, Versuch, den menschlichen Körper ähnlich zu behandeln wie tote Gegenstände, ihn in gewissem Grade zu reduzieren in Richtung eines ‘Stillebens’. Peter Collien zur obigen Abbildung zwei Jahre nach dem Versuch Es ist nicht ganz absurd anzunehmen, daß dieses Erlebnis nicht ohne Einfluß auf meine Arbeit blieb. Jedenfalls bemühte ich mich in der Folgezeit, meinen Akten (im Grunde haben mich seit je nur Figuren und Raumprobleme interessiert) einiges zu geben, was auf diese Erfahrung zurückgehen könnte: nämlich Akte auf Stillebenhaftes zu reduzieren ohne Verlust des Animalischen. Ich glaube zwar nicht, daß es sich um ein Schlüsselerlebnis handelt, da ja wesentliche Elemente dieses Bemühens schon vor dem LSD-Versuch manifest wurden, kann jedoch nicht ausschließen, daß mich diese spezielle Erfahrung zumindest unterstützt und bestärkt hat. Leider scheint es keine Möglichkeit zu geben, dies nachzuprüfen. Zusammenfassung Die zarten Strichgewebe, meist in kleinen Formaten angelegt, werden unter der LSD- Einwirkung großformatig, sind expressiv, mit hartem Strich gezeichnet. Auch später noch blieben Schwierigkeiten in der Darstellung